Die 1.Gabe

Die 1.Gabe

von Michael Kraft, F 67930 Beinheim

Prognose aus der Reaktion auf die 1.Gabe und der 2.Verordnung (bei chronischen Krankheiten)

Tipps für Hundebesitzer & Homöopathen

Nach der ersten Verordnung ist ein Fall selten abgeschlossen.
Eine homöo­pathische Therapie chronischer Erkrankungen ist keine Momentaufnahme, immer muss der Verlauf der Therapie im Auge behalten werden. Der Tierarzt muss wissen, wann er wieder mit Arzneien eingreifen darf und ob das Medika­ment gewechselt werden soll oder nicht. Wenn wir nicht den Regeln gemäß arbeiten, werden wir immer nur Anfangserfolge sehen können und kein Tier jemals als geheilt entlassen. 

1. Um einen Patienten kontinuierlich therapieren zu können, ist es unumgäng­lich, seine Reaktionen auf unsere Arzneien zu kennen. Das bedeutet, dass die Tierhalter die Veränderungen genauestens festhalten müssen. Weisen Sie also Ihre Klienten darauf hin, sagen Sie ihnen, sie sollten schriftliche Noti­zen machen. Der Zeitpunkt der Reaktionen, ihre Stärke und etwaige Moda­litäten gehören alle ins Krankenjournal.
Die Tierbesitzer sollen vorurteils­frei beobachten. Sagen Sie ihnen also nicht, was eintreten kann, denn nur ein unvoreingenommener Beobachter beobachtet gut.

Eine Ausnahme von die­ser Regel gibt es allerdings: dass Erstverschlimmerungen  eintreten können, das muss der Tierbesitzer wissen.
Vor der zweiten Verschreibung sollten Sie das Tier nach Möglichkeit noch­mals sehen. Eine telephonische Konsultation ist meist unzureichend.

Hierzu ein Beispiel: Ein eineinhalbjähriger Labradorrüde wird vorgestellt wegen Hüftgelenkdys­plasie, die röntgenologisch nachweisbaren Veränderungen sind katastro­phal, eine Lahmheit besteht aber noch nicht, lediglich der Gang ist leicht schwabbelig.
Fünf Wochen nach der Arzneigabe erfolgt der Rückruf: keine Veränderung. der Hund gehe noch genau gleich. Während der zweiten Kon­sultation fällt aber auf. dass der Hund zwar noch den gleichen Gang aufweist, aber mit seinen nun Eineinhalb Jahren nun zum ersten Mal markiert.
Der persönli­che Augenschein wird in vielen Fällen dem Tierarzt eben wichtige Beob­achtungen ermöglichen.
Die zweite Grundlage. um eine Therapie erfolgreich zu Ende zu führen, ist das Aufarbeiten der durch die Tierhalter gemachten Beobachtungen. Schrei­ben Sie die Veränderungen in Ihren Anamnesebogen ein, Symptom für Sym­ptom an den zugehörigen Platz und mit Datum. Der Übersichtlichkeit halber können Sie für jeden neuen Bericht eine andere Farbe wählen. Diejenigen Symptome, die zwar auf Ihrem Anamnesebogen stehen, über die der Tierbesitzer aber spontan keine Angaben machte, müssen Sie einzeln durchfragen. Nur so werden Sie erkennen, ob eine Besserung palliativer Art oder homöopathischer Natur ist.

Reaktion auf die 1. Gabe

Die nachfolgend aufgeführten Reaktionsarten wurden von KENT erarbeitet. Die Praxis zeigt. dass auch in der Tiermedizin ein systematisches Arbeiten möglich ist.

1. Keine Veränderung
Solange keine Reaktion erfolgt, sind wir uns nie sicher, ob die gewählte Arznei auch wirklich gut gewählt war. Deshalb müssen solche Fälle nochmals sehr genau durchgehen. Oft kommt es aber vor (v.a. nach längeren Vorbehandlungen). dass man kein Ansprechen auf die 1. Gabe des richtigen Mittels hat. “Keine Reaktion“ heißt deshalb noch lange nicht in jedem Fall, dass die Arznei falschgewählt war. Es kann auch sein,  dass die verabreichte Potenz zu tief war oder dass ein Störfaktor vorliegt

2. Verschlimmerung,
die nicht aufhört, Zusammenbruch. Eine Verschlimmerung in den ersten Tagen freut uns meist, denn eine homöopathische Verschlimmerung hat eine gute Vorbedeutung. Nun hört aber die Verschlimmerung nicht auf, wird immer gravierender. Sie haben ei­nen Patienten vor sich, bei dem lebenswichtige Organe bereits ziemlich stark geschädigt sind. Wenn nach fünf oder noch mehr Wochen keine Besserung eintritt, dann ist die Prognose schlecht, der Zusammenbruch nahe. Sollten Sie zu Beginn einer Therapie Bedenken über das Ausmaß der Krankheit haben, untersuchen Sie das Tier klinisch eingehend und benutzen Sie auch alle notwendigen Labormethoden.
Die Lebenskraft einzuschätzen ist nicht immer einfach. Anhaltspunkte wie die Stärke der Lautäußerungen, die Kraft der Bewegungen oder der Tonus des Schwanzes können aber immerhin eine Idee geben.

3. Lange anhaltende Verschlimmerung, dann doch Besserung
Ein solcher Patient ist in besserer Verfassung als der oben beschriebene. Aber denken Sie daran. dass auch hier Organe geschädigt sind und der Patient an der Schwelle der Unheilbarkeit stand.
Nehmen wir als Beispiel ein Pferd mit Podotrochlose: Nach der 1. Verschreibung folgt eine Aggravation. Wenn diese eine Woche anhält, so sind wir zuversichtlich. Wenn aber nach fünf Wochen die Verschlimmerung immer noch anhält, bleibt uns nichts anderes übrig als den Fall von neuem zu studieren: handelt es sich wirklich um eine Erstver­schlimmerung. oder haben wir es mit einer anderen Reaktion zu tun? Solange keine Gefahr für das Tier besteht, hat man keine andere Wahl als zu warten oder Placebo zu verschreiben, bis eine Besserung eintritt. Die Pro­gnose dieser Reaktionsart ist gut. Wohl liegen strukturelle Schädigungen vor, aber der Organismus ist noch in der Lage. auf die Arznei mit einer Heilreaktion zu antworten.
Bei Tieren ist diese Reaktion wohl gar nicht so selten. weil die Homöopathie oft erst als letzte Hoffnung des Besitzers zum Einsatz kommt. Bedenken Sie, dass eine homöopathische Verschlimmerung länger als fünf Wochen andauern kann, und analysieren Sie die Fälle genau. Eine zu frühe 2. Verschreibung oder eine zu Unrecht applizierte andere Arznei kön­nen einen Fall unheilbar machen oder aber die Therapie beträchtlich komplizieren.

4.Rasch eintretende heftige Verschlimmerung, danach rasche und an­haltende Besserung
Für uns ist diese Reaktionsart die befriedigendste. Wir sehen dank der Aggravation, dass unsere Arznei richtig war, und wissen dank der schnell eingetretenen Besserung, dass die Prognose sehr gut ist. Es waren noch keine schwerwiegenden Gewebeveränderungen vorhanden. Wir müssen uns aber gerade in der Tiermedizin vor Augen halten, dass eine Erstverschlimmerung nicht in jedem Fall eintreten muss. Ihr Fehlen heißt nicht. dass die Arznei nicht richtig war.

5. Keine Erstverschlimmerung, langandauernde Besserung
Ein solcher Patient hatte das Glück. dass wir unsere Gabengröße maßgeschneidert für ihn verordneten. Diese Art der Reaktion tritt ein, wenn keine Gewebsschädigun­gen vorliegen, die Erkrankung ist bei solchen Patienten funktioneller Natur.

6. Anfängliche Besserung, dann Verschlimmerung
Bei dieser Reak­tionsart ist natürlich nicht eine sehr lange Besserung gemeint. Schon nach wenigen Wochen (i.d.R. vor vier Wochen) setzt wieder eine Verschlimme­rung ein. Es gibt zwei mögliche Ursachen für diese Reaktion: entweder wur­de ein palliativ wirkendes Medikament abgegeben oder der Patient ist un­heilbar.Beispiel:  Eine Katze mit einem Plattenepithelkarzinom in der Maulhöhle und übermäßiger Hornbildung an den Ballen erhielt als Arznei eine Gabe Ant-c. C 30. Darauf wurde der Speichelfluss weniger und klar, und die schon lange bestehende Verstopfung verschwand. Das Tier ließ sich zum ersten Mal auf den Schoss des Besitzers nieder. Bereits nach vier Wochen war die Besserung vorbei. Obwohl die Besitzer überglücklich waren. deutete die Re­aktion auf eine unheilbare Krankheit hin.
Eine Wiederholung der Arzneigabe war ohne Wirkung. So musste das Tier bald schon eingeschläfert werden.
Die Kenntnis der Reaktionsarten hilft uns im Alltag für die Prognose und die ge­naue Beurteilung der Lage. Dem Tierhalter gegenüber ist sie ein Gebot der Höflichkeit und Ehrlichkeit.

7. Zu kurz andauernde Besserung (weniger als fünf Wochen)
Auch in die­sem Fall haben wir möglicherweise palliativ therapiert, d.h. eine falsche Arznei gewählt. Wir müssen uns aber bei einer derartigen Reaktion sonst noch fragen, ob irgend etwas in der Lebensweise des Patienten das Mittel stört. Dazu gehören Antidote (oder dem Tier nicht angepasste Lebensumstände (schlechtes Klima. schlechte Haltung, etc.) oder eine trau­matische Einwirkung (auch psychisch).

8. Die Symptome werden für die gesamte Wirkungsdauer besser, dem Patienten geht es nicht besser
Gemeint ist hier die Besserung vieler Sym­ptome. ohne dass sich der Patient im Ganzen wohler fühlt. Bei Patienten, de­nen wichtige Organe fehlen, kann die Arznei unter Umständen nicht mehr ih­re volle Wirkung entfalten. Hier kann oft nur Linderung, nicht aber völlige Wiederherstellung erreicht werden. KENT erwähnt als Beispiele dazu Status nach Herzinfarkt, Leberzirrhose, abgekapselte Tuberkel, Status nach Ne­phrektomie. Nach KÜNZLI gehören auch Patienten nach Hysterektomie, Strumektomie und eventuell nach Prostatektomie oder Vasektomie in die­se Kategorie. Bis jetzt fehlen jedoch Hinweise beim Menschen, dass die Entfernung von Tonsillen, Gallenblase oder Appendix ebenfalls solche Folgen haben können. In der Tiermedizin sind diese Folgen natürlich noch weniger bekannt. Die Erfahrung zeigt. dass nicht jedes kastrierte Tier nun diesbezüglich Probleme macht, meist wird man einen normalen Verlauf beobachten.

9. Arzneimittelprüfungs-Effekt nach jeder Gabe und bei jeder Arznei
An einem Beispiel soll diese Reaktion verdeutlicht werden. Es handelt sich um einen Hund mit Alopezie. Nach einer Gabe Psorinum reagierte er mit gro­ßem Hunger und Lebhaftigkeit, die Haut verschlimmerte sich. Dieser Zu­stand hielt an. auch nachdem einige Wochen verstrichen waren. Als näch­stes erhielt er Graphites. Darauf sonderte die Haut eine honigartige Flüssig­keit ab. Nach Hepar sulfuris stank der Hund so stark, dass er nicht mehr im Wohnzimmer bleiben konnte. Wir haben einen überempfindlichen Patien­ten vor uns. Nach jeder Gabe einer Arznei traten Symptome der verabreich­ten Arzneien auf.

10.  Auftreten neuer Symptome
Sofern die Arzneiwahl richtig war, werden die neuen Symptome nicht gravierend sein und verschwinden nach einer ge­wissen Zeit von selbst. Falls neue Symptome aber gravierend sind, muss die Wahl der Arznei neu überdacht werden. Neue gravierende Symptome stellen z.B. Unregelmäßigkeiten beim weiblichen Zyklus dar. Ich erinnere mich an einen Fall mit Epilepsie; der betreffende Hund begann ein Jahr nach Thera­piebeginn mit Bluten aus dem Penis, unabhängig vom Harnabsatz. Die Pro­stata war vergrößert, der Hund wurde kastriert. Die Arzneiwahl war offen­sichtlich falsch gewesen, was nach sorgfältiger Aufarbeitung der Symptome ebenfalls deutlich wurde.In der Veterinärmedizin gilt es natürlich besonders vorsichtig zu sein. Denn häufig sind neu auftretende Symptome frühere Symptome, die vom Halter nicht bemerkt wurden, besonders wenn das Tier nicht von jung an beim glei­chen Besitzer war.

11. Rückkehr früherer Symptome
Dies ist ein Zeichen, dass die Krankheit auf dem Weg zur Heilung ist (HERINGSCHE Regel) Die Pro­gnose ist sehr gut, die Symptome werden in der Regel spontan wieder ver­schwinden.

12. Symptome schlagen falsche Richtung ein
Es handelt sich hier um ei­nen der HERINGSCHEN Regel entgegengesetzten Verlauf, d.h. um eine Fort­pflanzung der Krankheit von der Peripherie zum Zentrum. also in lebenswichtigere Organe. Diese Situation tritt vor allem dann ein, wenn man ein Mittel verschreibt, das nur für die Lokalsymptome der Hauptbeschwerden passt. Wenn man also nicht die Gesamtheit der Symptome beachtet, sondern auf Grund der vordergründigen Symptome verschreibt, kann unter Umstän­den z.B. eine Hautkrankheit unterdrückt werden (Suppression), ohne dass der Patient geheilt wird.
Unter diesem Punkt ist auch noch die Palliation zu erwähnen: In der Regel handelt es sich dabei um eine temporäre Besserung der Symptome. derent­wegen uns der Tierhalter konsultiert hat. Meist haben wir bereits nach der zweiten oder dritten Gabe keine Reaktion mehr (vgl. 6. Reaktion). Die Bes­serung hält nicht lange genug an. Es kann zwar vorkommen, dass eine pallia­tive Besserung ein Jahr anhält, die zweite und dritte Gabe wirken dann nur noch kurz. 

Ihr Michael Kraft